Den tschechischen Grenztruppen entlaufen
Hinter dem Dorf Guglwald lag seit 1948 auf tschechischem Staatsgebiet eine Grenzschutztruppe von zirka 100 Soldaten. Anfang Mai 1978 fand bei uns in der Gemeinde Schönegg ein Landwirt in seiner Garage liegend einen erschöpften Schäferhund. Dieses völlig verstörte Tier rührte sich keinen Zentimeter vom Fleck. Weil sich das an einem Sonntag ereignete und daher das Gemeindeamt geschlossen war, telefonierte der Bauer mit der Leiterin der Volksschule Schönegg, Ingeborg Winkler. Diese kam und brachte einige Knackwürste mit. Damit lockte sie den Hund heraus, der die Würste völlig ausgehungert verzehrte. Schließlich lockte sie ihn mit der letzten Knackwurst in ihr Auto und fuhr damit heim. Die Nacht verbrachte der inzwischen zutraulich gewordene Findling im Schlafzimmer der Söhne seiner Retterin. Am nächsten Tag beschäftigte sich unsere Familie mit dem fremden, aber nun zutraulich gewordenen Schäferhund: Woher kam er? Wem könnte er gehören? Wie soll es mit ihm weitergehen? Außerdem fehlte die verpflichtend zu tragende Hundemarke. Statt dieser trug er eine am Halsband befestigte kleine Tasche, die aber leer war. Als man darüber zu rätseln begann, wurde der Hund immer verdächtiger. Ist er vielleicht gar einer der uns an der Grenze bereits untergekommenen tschechischen Wachhunde, die ein Kommandogerät am Halsband tragen und über Funkbefehle gesteuert werden?
Sicherheitsdirektion klärte auf
Nun wurde klar, dass aus diesem Grund die Gendarmerie zu kontaktieren ist. Ein Beamter kam und pflichtete den Hundeverwahrern bei. Wieder vergingen zwei Tage, ehe sich Beamte der Sicherheitsdirektion aus Linz der „Hundegeschichte“ annahmen. Sie fotografierten das Halsband mit der Tasche und stellten fest, der Hund habe nach seiner „Pirsch“ im Gestrüpp die Tasche am Halsband aufgerissen und sein Steuergerät daraus verloren. Nun fand er nicht mehr zu seinem Herrn zurück und verirrte sich im Grenzgebiet. Weil sich der Hund bei uns wohlfühlte, durften wir ihn behalten, bis weitere Maßnahmen bekannt gegeben werden würden. Wieder verstrich der Tag und unser tschechischer Gast hatte bisher weder gebellt noch geknurrt. Gewinselt hat er, wenn er seine Notdurft verrichten wollte. Dazu durften ihn aber nur die Burschen begleiten. Er blieb beim Haus und wandte sich schon gar nicht zur Flucht.

Nach weiteren zwei Tagen erhielten wir die Nachricht, dass unser vierbeiniger Gast am folgenden Tag den Tschechen am Grenzstein 2/11 zu übergeben sei. Unsere Kinder waren zu Tränen gerührt, so fest hatten sie ihn ins Herz geschlossen. Wir fuhren an besagtem Tag mit dem Hund im PKW an die Staatsgrenze zum bezeichneten Grenzstein. Am Eisernen Vorhang konnten wir sehen, wie ein Tor sich öffnete und ein Militär-Jeep querfeldein zum bezeichneten Grenzstein einbog. Bei uns am Grenzstein angekommen stieg ein Soldat aus, salutierte wortlos und rief „Harro!“ Mit einem freudigen Sprung löste sich von uns der Schäfer und verschwand im Jeep. Der Motor heulte auf und das Fahrzeug fuhr zurück zum Stacheldrahtzaun.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhanges besuchten wir die tschechische Kaserne und den Hundezwinger. Der Kommandant erzählte uns, dass fünf und oft mehr gut trainierte Hunde vorhanden waren, die sehr erfolgreich zur Verfolgung von Flüchtlingen im Einsatz waren.